GOETHE 1749 - 1832

Die Lieb

Woher sind wir geboren?

Aus Lieb’.

Wie wären wir verloren?

Ohn’ Lieb’.

Was hilft uns überwinden?

Die Lieb’.

Kann man auch Liebe finden?

Durch Lieb’.

Was lässt nicht lange weinen?

Die Lieb’. 

Was soll uns stets vereinen?

Die Lieb’.

 

Bleib bei mir

Bleibe, bleibe bei mir,

Holder Fremdling, süße Liebe,

Holde, süße Liebe,

Und verlasse die Seele nicht!

Ach, wie anders, wie schön

Lebt der Himmel, lebt die Erde,

Ach, wie fühl ich, wie fühl ich

Dieses Leben zum ersten Mal!

Meeresstille

Tiefe Stille herrscht im Wasser,

Ohne Regung ruht das Meer,

Und bekümmert sieht der Schiffer

Glatte Fläche ringsumher.

Keine Luft von keiner Seite!

Todesstille fürchterlich!

In der ungeheuern Weite

Reget keine Welle sich.

Wanderers Nachtlied

Über allen Gipfeln

Ist Ruh,

In allen Wipfeln

Spürest du

Kaum einen Hauch;

Die Vögelein schweigen im Walde.

Warte nur, balde

Ruhest du auch.

Freudvoll Leidvoll

Freudvoll und leidvoll

Gedankenvoll sein,

Hangen und Bangen

In schwebender Pein,

Himmelhoch jauchzend,

Zu Tode betrübt;

Glücklich allein

Ist die Seele, die liebt.